Wie lange
Dauern die Werke? So lange
Als bis sie fertig sind.
So lange sie nämlich Mühe machen
Verfallen sie nicht.
Einladend zur Mühe
Belohnend die Beteiligung
Ist ihr Wesen von Dauer, so lange
Sie einladen und belohnen.
Die nützlichen
Verlangen Menschen
Die kunstvollen
Haben Platz für Kunst
Die weisen
Verlangen Weisheit
Die zur Vollständigkeit bestimmten
Weisen Lücken auf
Die langdauernden
Sind ständig am Einfallen
Die wirklich groß geplanten
Sind unfertig.
[...]
Bertolt Brecht, 1929 — “Über die Bauart langdauernder Werke” (Ausschnitt)
Weidenstieg 29 – Erinnerung an ein Bauwerk
Das alte Schulhaus im Weidenstieg war kein gewöhnlicher Ort. Es stand schon da, als das Jahrhundert noch jung war – 1894 erbaut, 1914 erweitert, 1960 noch einmal ergänzt. Jede dieser Schichten erzählte von einem anderen Verständnis von Zeit, von einem anderen Blick auf das, was Bildung, Licht und Raum bedeuten konnte.
Wenn man lange genug blieb, konnte man die Übergänge hören – zwischen Mauerwerk und Sprache, zwischen Holz und Atem.
Ich erinnere mich an den Dachstuhl. Dort oben, zwischen Balken, die sich wie Gedanken kreuzten, fand ich die Reste jener kleinen Beobachtungsposten, in denen einst Schüler den Himmel über Hamburg bewachten, falls das Feuer kam.
Diese Zellen, halb aus Furcht, halb aus Pflicht errichtet, wirkten noch immer wie gefrorene Erinnerungen – kleine Kammern aus Stein und Beton, in denen die Vergangenheit den Atem anhielt.
Ich kam als Architekt, um das Gebäude zu vermessen, zu sichern, zu verstehen – und merkte irgendwann, dass das Haus begann, mich zu verändern. Es war, als würde ich in seinen Wänden lesen lernen:
in den Rissen, in den Farbschichten, in der Art, wie das Licht den Staub berührt.
Ich öffnete Decken, Wände, Böden – und das Haus öffnete etwas in mir.
Vielleicht war das mein eigentliches Studium.
Nicht das an der Hochschule, sondern das an einem Ort, der mir beibrachte, was Zeit mit Material macht – und wie man als Architekt leiser wird, je mehr man versteht.
Das Gebäude spricht
Ich habe dich kommen hören,
lange bevor du meine Tür berührt hast.
Viele waren hier –
mit Plänen, Maßbändern,
und dem Willen, mich zu verbessern.
Du aber hast gezögert.
Du hast nicht gerechnet,
du hast gelauscht.
Und in dem Moment,
als deine Hand auf meinem Pfosten lag,
wusste ich,
dass du bleibst.
Ich trage Narben.
Manche von Feuer,
manche von Menschen.
Doch du hast sie nicht verdeckt,
du hast sie gesehen –
und das war genug.
Seitdem atme ich leichter.
Vielleicht,
weil jemand endlich verstanden hat,
dass man mich nicht neu bauen muss,
um mich leben zu lassen.
—
In Erinnerung an Klabund [Alfred Henschke, 1890–1928]
Der Architekt antwortet
Ich erinnere mich an den Tag,
an dem ich dich zum ersten Mal betreten habe.
Es roch nach feuchtem Holz,
nach Kreide und nach Zeit.
Ich kam, um dich zu vermessen.
Am Ende war’s wohl umgekehrt.
Zwischen Balken und Staub
stand plötzlich eine Stille,
die nichts wissen wollte
von Plänen und Zahlen.
Ich blieb länger,
als ich vorhatte –
nicht aus Pflicht,
sondern aus Neugier.
Vielleicht war das der Moment,
in dem wir uns beide vermessen haben,
nur jeder auf seine Art…
Manchmal denke ich,
wir haben uns nur verstanden,
weil keiner von uns Recht behalten wollte.
Vielleicht war das genug.
—
In leiser Nähe zu Kurt Tucholsky [1890–1935]